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Arbeitszeugnis entschlüsseln - Geheimcodes verstehen

Zeugnis-Sprache dekodieren: Was bedeuten die Formulierungen wirklich? Noten erkennen und schlechte Zeugnisse korrigieren lassen.

Redaktion Vorlagen-Zentrale

Fachredaktion

15. Januar 202611 Min. Lesezeit

Warum gibt es Zeugnis-Codes?

Das Arbeitszeugnis in Deutschland unterliegt einem besonderen Spannungsfeld: Es muss wohlwollend formuliert sein, aber gleichzeitig wahrheitsgemäß. Diese gesetzliche Anforderung hat zur Entwicklung einer eigenen "Zeugnissprache" geführt.

Rechtlicher Hintergrund

Das Bundesarbeitsgericht hat festgelegt:

  • Ein Zeugnis darf das berufliche Fortkommen nicht behindern
  • Es muss aber wahr sein
  • Negative Aussagen müssen zwischen den Zeilen versteckt werden

Die Folge: Zeugnis-Codes

Um beiden Anforderungen gerecht zu werden, haben sich standardisierte Formulierungen entwickelt:

  • Positiv klingende Phrasen können Kritik verschleiern
  • Die Reihenfolge von Aussagen ist bedeutsam
  • Was fehlt, ist oft wichtiger als was da steht
  • Kleine Wortänderungen machen große Unterschiede

Wer muss Zeugnis-Codes verstehen?

  • Arbeitnehmer: Um das eigene Zeugnis richtig einzuschätzen
  • Personaler: Um Bewerber korrekt zu beurteilen
  • Führungskräfte: Um faire Zeugnisse zu schreiben
  • Anwälte: Um Zeugnisberichtigungen durchzusetzen

Die Noten-Skala im Arbeitszeugnis

Jede Leistungsbeurteilung im Zeugnis entspricht einer Schulnote von 1 (sehr gut) bis 5 (mangelhaft). Note 6 wird nicht verwendet, da dies das berufliche Fortkommen zu stark behindern würde.

Die Zauberformel: "zur vollsten Zufriedenheit"

NoteFormulierung
1 (sehr gut)"stets zur vollsten Zufriedenheit"
2 (gut)"stets zur vollen Zufriedenheit" oder "zur vollsten Zufriedenheit"
3 (befriedigend)"zur vollen Zufriedenheit"
4 (ausreichend)"zur Zufriedenheit"
5 (mangelhaft)"im Großen und Ganzen zur Zufriedenheit"

Verstärker und Abschwächer

Verstärker (verbessern die Note):

  • "stets" (immer)
  • "jederzeit"
  • "in jeder Hinsicht"
  • "in besonderem Maße"
  • "durchweg"

Abschwächer (verschlechtern die Note):

  • "im Wesentlichen"
  • "im Großen und Ganzen"
  • "insgesamt"
  • "in der Regel"
  • "weitgehend"

Beispiele im Vergleich

Note 1:

"Herr Müller erledigte die ihm übertragenen Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit."

Note 3:

"Herr Müller erledigte die ihm übertragenen Aufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit."

Note 5:

"Herr Müller erledigte die ihm übertragenen Aufgaben im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit."

Leistungsbeurteilung entschlüsseln

Die Leistungsbeurteilung umfasst verschiedene Aspekte. Jeder folgt der gleichen Codierung:

Arbeitsbereitschaft (Motivation)

NoteFormulierung
1"zeigte stets außerordentliche Eigeninitiative und vorbildlichen Einsatz"
2"zeigte stets hohe Eigeninitiative und großen Einsatz"
3"zeigte Eigeninitiative und Einsatzbereitschaft"
4"zeigte Einsatzbereitschaft"
5"zeigte im Rahmen seiner Möglichkeiten Einsatzbereitschaft"

Arbeitsfähigkeit (Können)

NoteFormulierung
1"verfügt über außergewöhnlich fundiertes Fachwissen, das er stets sicher einsetzte"
2"verfügt über fundiertes Fachwissen, das er sicher einsetzte"
3"verfügt über solides Fachwissen"
4"verfügt über Fachwissen"
5"bemühte sich, sein Fachwissen einzusetzen"

Arbeitsweise (Wie)

NoteFormulierung
1"arbeitete stets äußerst zuverlässig, sorgfältig und selbstständig"
2"arbeitete stets zuverlässig, sorgfältig und selbstständig"
3"arbeitete zuverlässig und sorgfältig"
4"arbeitete im Allgemeinen sorgfältig"
5"erledigte die Aufgaben im Wesentlichen ordnungsgemäß"

Arbeitserfolg (Ergebnis)

NoteFormulierung
1"erzielte stets hervorragende Arbeitsergebnisse"
2"erzielte stets gute Arbeitsergebnisse"
3"erzielte gute Arbeitsergebnisse"
4"erzielte zufriedenstellende Arbeitsergebnisse"
5"war bemüht, gute Arbeitsergebnisse zu erzielen"

Verhaltensbeurteilung verstehen

Die Verhaltensbeurteilung beschreibt den Umgang mit Vorgesetzten, Kollegen und ggf. Kunden.

Die richtige Reihenfolge

Die Reihenfolge der genannten Personengruppen ist entscheidend:

Korrekte Reihenfolge:

"Sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Kunden war stets einwandfrei."

Problematische Reihenfolge:

"Sein Verhalten gegenüber Kollegen und Vorgesetzten war stets einwandfrei."

Warnsignal: Wenn Vorgesetzte nicht an erster Stelle oder gar nicht genannt werden, deutet das auf Autoritätsprobleme hin.

Verhaltensbeurteilung nach Noten

NoteFormulierung
1"war stets vorbildlich und wurde von allen sehr geschätzt"
2"war stets einwandfrei/korrekt und wurde geschätzt"
3"war einwandfrei/korrekt"
4"gab zu keinen Beanstandungen Anlass"
5"war im Wesentlichen einwandfrei"

Versteckte Kritik im Verhalten

"geselliger Mitarbeiter" → Klatscht viel, verbringt zu viel Zeit mit Kollegen

"galt als toleranter Mitarbeiter" → Setzte sich nicht durch, war zu nachgiebig

"verstand es, seine Meinung zu vertreten" → War streitsüchtig, nicht kritikfähig

"zeigte Einfühlungsvermögen für die Belange der Kollegen" → Flirtete am Arbeitsplatz

Die Reihenfolge ist entscheidend

In einem qualifizierten Arbeitszeugnis gibt es eine Standard-Struktur. Abweichungen davon sind bedeutsam:

Standard-Aufbau

  1. Einleitung (Name, Position, Zeitraum)
  2. Unternehmensbeschreibung
  3. Tätigkeitsbeschreibung
  4. Leistungsbeurteilung
  5. Verhaltensbeurteilung
  6. Schlussformel

Was die Reihenfolge verrät

Leistung vor Verhalten: Normal und positiv – Leistung steht im Vordergrund

Verhalten vor Leistung: Warnsignal – Das Verhalten war möglicherweise problematischer als die Leistung

Fehlende Abschnitte: Besonders kritisch – Was nicht erwähnt wird, lief schlecht

Die Tätigkeitsbeschreibung analysieren

Vollständig und detailliert: → Gutes Zeichen, Arbeit wurde wertgeschätzt

Kurz und allgemein: → Möglicherweise wurde wenig geleistet

Nur Nebentätigkeiten genannt: → Hauptaufgaben wurden nicht zufriedenstellend erledigt

Versteckte Kritik erkennen

Die gefährlichsten Codes sind die, die positiv klingen, aber Kritik enthalten:

Die "Bemüht"-Falle

Alarmwort: "bemüht"

"Er bemühte sich, die Aufgaben zu erledigen." → Er hat es versucht, aber nicht geschafft.

"Sie war stets bemüht, pünktlich zu sein." → Sie kam oft zu spät.

"Er bemühte sich um freundlichen Umgang." → Er war oft unfreundlich.

Doppeldeutige Formulierungen

FormulierungTatsächliche Bedeutung
"erledigte alle Aufgaben pflichtbewusst"Nur das Nötigste, keine Eigeninitiative
"galt als umgänglich"War schwierig im Umgang
"war bei Kollegen beliebt"Vorgesetzte mochten ihn nicht
"zeigte Verständnis für die Arbeit"Hat wenig gearbeitet
"hat sich im Rahmen seiner Fähigkeiten eingesetzt"Begrenzte Fähigkeiten
"erledigte Aufgaben zu seiner Zufriedenheit"Nicht zur Zufriedenheit des Arbeitgebers
"trug zur Verbesserung des Betriebsklimas bei"Klatsch, negative Einflussnahme
"war ein gesuchter Gesprächspartner"Hat zu viel geredet

Die "Alle Aufgaben"-Technik

Scheinbar positiv:

"Er erledigte alle ihm übertragenen Aufgaben."

Problem: Keine Eigeninitiative, keine Aufgaben selbst übernommen

Besser wäre:

"Er übernahm eigenständig zusätzliche Verantwortung."

Passive Formulierungen

Passiv = Warnsignal

"Ihm wurden folgende Aufgaben übertragen..." → Er hat sie nicht aktiv übernommen

"Er wurde mit der Projektleitung betraut." → Unklar, ob er erfolgreich war

Aktiv = Positiv

"Er übernahm die Projektleitung und führte das Team zum Erfolg."

Die Schlussformel analysieren

Die Schlussformel ist der wichtigste Teil des Zeugnisses. Sie verrät die wahre Einschätzung des Arbeitgebers.

Elemente einer vollständigen Schlussformel

  1. Trennungsgrund (wer hat gekündigt?)
  2. Bedauern (Verlust des Mitarbeiters)
  3. Dank (für die geleistete Arbeit)
  4. Zukunftswünsche (beruflich und persönlich)

Die Bewertung der Schlussformel

Note 1 (Bestnote):

"Frau Müller verlässt uns auf eigenen Wunsch, was wir sehr bedauern. Wir danken ihr für ihre stets hervorragende Arbeit und wünschen ihr für ihre berufliche und persönliche Zukunft alles Gute und weiterhin viel Erfolg."

Note 2 (Gut):

"Herr Schmidt verlässt unser Unternehmen auf eigenen Wunsch. Wir bedauern sein Ausscheiden, danken für die gute Zusammenarbeit und wünschen ihm für die Zukunft alles Gute."

Note 3 (Befriedigend):

"Wir danken für die Zusammenarbeit und wünschen für die Zukunft alles Gute."

Note 4 (Ausreichend):

"Wir wünschen für die Zukunft alles Gute."

Note 5 (Mangelhaft):

Keine Schlussformel oder nur: "Wir wünschen Erfolg."

Warnsignale in der Schlussformel

Fehlender Dank: → Arbeitgeber war unzufrieden

Kein Bedauern: → Man ist froh, dass der Mitarbeiter geht

Nur persönliche Wünsche: → Beruflich wird kein Erfolg erwartet

"Wir wünschen Erfolg": → Ironisch gemeint, bisher war keiner da

Trennungsgrund verschwiegen: → Arbeitgeber hat gekündigt

Der Trennungsgrund

Positiv:

"verlässt uns auf eigenen Wunsch" "verlässt uns, um sich neuen Herausforderungen zu stellen"

Neutral:

"das Arbeitsverhältnis endet am..." "im gegenseitigen Einvernehmen"

Negativ (impliziert Kündigung durch AG):

"das Arbeitsverhältnis wurde beendet" "wir haben uns getrennt"

Gutes vs. schlechtes Zeugnis - Beispiele

Beispiel 1: Sehr gutes Zeugnis (Note 1)

Frau Musterfrau war vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2025 als Senior Projektmanagerin in unserem Unternehmen tätig.

Sie verfügte über ein außergewöhnlich fundiertes Fachwissen im Bereich Projektmanagement und IT, das sie stets sicher und gewinnbringend einsetzte.

Frau Musterfrau zeichnete sich durch herausragende analytische Fähigkeiten aus. Sie arbeitete stets äußerst zuverlässig, selbstständig und strukturiert. Ihre Arbeitsergebnisse waren stets von höchster Qualität.

Aufgrund ihrer hohen sozialen Kompetenz war ihr Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Kunden stets vorbildlich.

Frau Musterfrau verlässt unser Unternehmen auf eigenen Wunsch, was wir außerordentlich bedauern. Wir danken ihr herzlich für ihre stets hervorragende Arbeit und wünschen ihr für ihre berufliche und private Zukunft alles erdenklich Gute und weiterhin viel Erfolg.

Erkennungsmerkmale:

  • "stets" und "außergewöhnlich" als Verstärker
  • Vollständige Schlussformel mit Bedauern, Dank, Zukunftswünschen
  • Vorgesetzte an erster Stelle
  • Keine Relativierungen

Beispiel 2: Mangelhaftes Zeugnis (Note 5)

Herr Mustermann war vom 01.06.2022 bis zum 28.02.2025 als Sachbearbeiter beschäftigt.

Er bemühte sich, die ihm übertragenen Aufgaben zu erledigen. Seine Arbeitsweise war im Wesentlichen ordentlich.

Sein Verhalten gegenüber Kollegen war korrekt.

Wir wünschen ihm für die Zukunft Erfolg.

Warnsignale:

  • "bemühte sich" = hat es nicht geschafft
  • "im Wesentlichen" = schwächt ab
  • Vorgesetzte nicht erwähnt = Autoritätsprobleme
  • Minimal-Schlussformel ohne Dank oder Bedauern
  • Trennungsgrund verschwiegen = Kündigung durch AG

Zeugnis korrigieren lassen

Wenn Ihr Zeugnis unfair oder falsch ist, haben Sie Rechte:

Ihr Anspruch

Nach § 109 GewO haben Sie Anspruch auf ein:

  • Wahres Zeugnis
  • Wohlwollendes Zeugnis
  • Vollständiges Zeugnis
  • Klares Zeugnis (keine Geheimcodes)

Schritte zur Korrektur

1. Zeugnis analysieren Identifizieren Sie problematische Formulierungen

2. Gespräch mit Arbeitgeber Bitten Sie schriftlich um Korrektur

3. Frist setzen 2-3 Wochen sind angemessen

4. Rechtliche Schritte Bei Weigerung: Anwalt oder Arbeitsgericht

Was Sie fordern können

  • Streichung negativer Formulierungen
  • Ergänzung fehlender positiver Aspekte
  • Korrektur falscher Angaben
  • Vollständige Schlussformel
  • Anpassung der Gesamtnote

Beweislast

NoteBeweislast
1-2Arbeitnehmer muss bessere Note beweisen
3Gilt als "durchschnittlich" - Arbeitgeber muss schlechtere Note beweisen
4-5Arbeitgeber muss schlechte Note beweisen

Wichtig: Eine Note 3 können Sie i.d.R. ohne Begründung verlangen.

Rechte bei falschen Zeugnissen

Zeugnisberichtigungsklage

Wenn der Arbeitgeber nicht kooperiert:

  • Klage beim Arbeitsgericht
  • Kostenfreie erste Instanz (jede Partei trägt eigene Kosten)
  • Anwalt empfohlen, aber nicht vorgeschrieben

Verjährung

  • Frist: 3 Jahre ab Zeugniserteilung
  • Aber: Verwirkung nach 10-12 Monaten möglich
  • Empfehlung: Zeitnah handeln

Schadensersatz

Bei nachweislich falschem Zeugnis:

  • Entgangener Verdienst
  • Bewerbungskosten
  • Nachweispflicht liegt bei Ihnen

Was Sie nicht verlangen können

  • Eine bessere Note als verdient
  • Erfundene Tätigkeiten
  • Lob, das nicht der Wahrheit entspricht
  • Verschweigen berechtigter Kritik

Checkliste: Zeugnis prüfen

Gehen Sie diese Punkte systematisch durch:

Formales

  • Firmenlogo und Briefkopf vorhanden
  • Ausstellungsdatum korrekt (Ende des Arbeitsverhältnisses)
  • Unterschrift des Vorgesetzten/HR
  • Keine handschriftlichen Korrekturen

Vollständigkeit

  • Alle Tätigkeiten aufgeführt
  • Leistungsbeurteilung enthalten
  • Verhaltensbeurteilung enthalten
  • Schlussformel vollständig

Leistungsbeurteilung

  • Verstärker wie "stets" vorhanden
  • Keine "bemüht"-Formulierungen
  • Keine Abschwächer wie "im Wesentlichen"
  • Gesamtbeurteilung angemessen

Verhaltensbeurteilung

  • Vorgesetzte an erster Stelle genannt
  • Alle relevanten Gruppen erwähnt
  • Positive Formulierungen

Schlussformel

  • Trennungsgrund genannt (eigener Wunsch)
  • Bedauern ausgedrückt
  • Dank enthalten
  • Berufliche UND persönliche Zukunftswünsche

Warnsignale

  • Keine versteckten Codes erkannt
  • Keine ungewöhnliche Reihenfolge
  • Keine fehlenden Abschnitte
  • Keine doppeldeutigen Formulierungen